07.Juli 2022
Wir – die hinter dieser Erklärung versammelten Organisationen – unterstützen den untenstehenden Aufruf des Ernährungsräte-Netzwerks für einen öffentlich beauftragten Bürger:innenrat zur Frage: Was ist uns unser Essen wert?

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat angekündigt, der erste in dieser Legislatur öffentlich eingeladene Bürger:innenrat werde noch dieses Jahr seine Arbeit beginnen können. Voraussichtlich werden sich die Parlamentsfraktionen dazu auf eine zentrale Fragestellung einigen. Unsere Empfehlung: Der Bundestag möge dem Aufruf und damit dem Vorschlag folgen, den das Netzwerk der Ernährungsräte in seiner vom Umweltbundesamt geförderten Machbarkeitsstudie ausgearbeitet hat.

Der jüngste IPCC-Report belegt erneut, wie beträchtlich unser gegenwärtiges Landwirtschafts- und Ernährungssystem zur Klimakrise beiträgt. Die Pandemie und nun auch Putins Krieg gegen die Ukraine verstärken den schon länger wachsenden Transformationsdruck noch einmal deutlich. Die aktuell enormen Energie- wie auch die rasanten Lebensmittelpreissteigerungen belasten weite Teile der Bevölkerung – hierzulande und weltweit – beträchtlich. Zur gleichen Zeit steigt der Gewinn der Öl- und Gaskonzerne gewaltig und die Börsenspekulation mit knappen Nahrungsrohstoffen verspricht Spitzenprofite!

Unser Ernährungssystem muss dringend neu gedacht, ökologisch transformiert und gerecht gestaltet werden. Die Beteiligung an diesem Transformationsprozess darf sich nicht allein auf Wirtschaft und Verbände beschränken. Wer der unverzüglichen Umstellung auf ökologisch und sozial nachhaltige Produktion und Konsum innerhalb planetarer Grenzen solide Zustimmung sichern will, sollte die Bevölkerung dabei in der Sache mitreden lassen.

Letzteres betrachten wir zudem als wegweisend für ein modernes, im Wortsinn demokratisches Miteinander von Bürger:innen, Staat und Verwaltung. Ein Miteinander, in dem die Bevölkerung die Preisfrage für Menschen, Tiere und Natur: „Was ist uns unser Essen wert?“ zu ihrer Sache und so den Umbau ihres Agrar- und Ernährungssystems zu ihrem Projekt machen kann.

Ein Bürger:innenrat mit dieser Ausgangsfrage hätte viel beizutragen, wenn es um den breiten und robusten Rückhalt für einen mit Sicherheit nicht leichten oder gar konfliktfreien Umbauprozess für alle geht!

Pressemitteilung

Werden Sie „ernährungsdemokratisch“ aktiv!

So ist der Aufruf überschrieben, den das Netzwerk der Ernährungsräte jetzt mit Unterstützung von 17 Nichtregierungsorganisationen an den Deutschen Bundestag richtet.

Das Netzwerk der Ernährungsräte schlägt dem Bundestag vor, einem „Minideutschland“ die drängende Frage nach einer klimagerechten und zugleich sozial ausgewogenen Preisbildung bei Lebensmitteln vorzulegen. Ein bundesweit losbasiert ausgewählter Bürger:innenrat soll über zeitgemäße Antworten auf die „Preisfrage für Menschen, Tiere und Natur: Was ist uns unser Essen wert?“ beratschlagen.

Der Bundestag könnte aus diesem deliberativ demokratischen Format einigen Nutzen ziehen. In der Sache, weil diese durch die galoppierende Inflation und die aktuell enormen Energie- wie auch die rasanten Lebensmittelpreissteigerungen einiges an aktueller Dringlichkeit gewonnen hat. Und demokratiepolitisch, weil damit das brüchig gewordene Vertrauen vieler Deutscher in ihre Demokratie wieder gestärkt würde.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas traut Bürgerräten sogar zu, „strukturelle Verkrustungen“ der Politik aufzubrechen. Sie kann sich dabei auf den Koalitionsvertrag stützen, der die Einsetzung von Bürgerräten ebenso vorsieht wie die Befassung mit deren Empfehlungen im Bundestag.

Das Netzwerk der Ernährungsräte – ebenso wie der Unterstützer:innenkreis für den Aufruf – sieht in der vorgeschlagenen Fragestellung für einen ersten Bürger:innenrat in dieser Legislatur vor allem die Chance, die Bevölkerung bei Entscheidungen mitreden zu lassen, die gerade jetzt weite Kreise existenziell betreffen.

Die gewählte thematische Zuspitzung wurde im Austausch mit Fachleuten verschiedener Disziplinen entwickelt. Wir sind überzeugt, dass sie transformatorische Hebelwirkung für den nötigen Umbau unseres Landwirtschafts- und Ernährungssystems entfalten wird.

Überdies wäre es der Demokratie sicher förderlich, hielte die Politik derart zentrale Fragen nicht länger für zu groß und zu komplex, um „ganz normalen Menschen“ (und nicht nur Expertenkommissionen) politisch relevante Antworten zuzutrauen!

Letzteres hat angesichts der vielen gegenwärtigen Krisenlagen – Krieg, Corona, Biodiversität, Klima – entscheidende Bedeutung. Nicht trotz, sondern gerade wegen der vielfältigen Herausforderungen, vor die jede dieser Krisen uns stellt. Sie machen es unausweichlich, unser Land – nicht nur wirtschaftlich – nachhaltig umzubauen und dafür breiten Rückhalt in der Bevölkerung zu suchen! Ein Bürger:innenrat zum Wert unseres Essens wäre ein vielversprechender Anfang!

Aufruf “Werden Sie ernährungsdemokratisch aktiv…”

Pressemitteilung als pdf-Datei

Mehr zur Machbarkeitsstudie hier.

Pressemitteilung vom 10. Mai 2023:

Per Losentscheid zur „Ernährungsdemokratie“?

Der Bundestagsbeschluss für einen Bürgerrat zur „Ernährung im Wandel“ könnte frischen Wind in die ernährungspolitische Debatte bringen. Das wird gelingen, wenn das Verfahren der Bevölkerung tatsächlich mehr Mitsprache und direktere Teilhabe an demokratischen Entscheidungen einräumt!

Das Netzwerk der Ernährungsräte begrüßt den heute gefassten Beschluss als wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Ernährungsdemokratie. Vorstandsmitglied Gundula Oertel erklärt dazu: „Ernährung betrifft und bewegt uns alle, besonders angesichts inflationärer Preissteigerungen und dem immer noch hohen Anteil landwirtschaftlicher Erzeugungsweisen, die unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören. Der geplante Bürgerrat kann dies jetzt zum Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte machen, die nah dran ist an den Interessen und Bedürfnissen der Bevölkerung!“

Das in Deutschland noch recht neue Beteiligungsformat Bürgerrat könnte auch dazu beitragen, neues Vertrauen in die Demokratie zu begründen. Es steht nicht in Konkurrenz zur repräsentativen Parteiendemokratie. Vielmehr stellt es durch die direkte Bürgerbeteiligung ihre wünschenswert basisdemokratische Ergänzung dar. Eine losbasierte Auswahl von Teilnehmenden, die einem Bevölkerungsquerschnitt möglichst nahe kommt und die neutral moderiert und von Expertinnen und Experten beraten wird, bietet die Gewähr für einen lösungsorientierten Diskurs unter Bürger:innen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen wollen. Und dies abseits von Lobbyeinflüssen oder wahltaktischem Konkurrenzgerangel unter Parteien.

Aus Sicht des Netzwerks der Ernährungsräte sind Bürgerräte deshalb besonders geeignet, die gesellschaftliche Debatte über die großen Fragen unserer Zeit anzustoßen. Etwa die nach einem nachhaltigen Wandel unseres Landwirtschafts-und Ernährungssystems und dessen demokratischer Gestaltbarkeit. Daher hatten wir den Bundestag bereits im Sommer 2022 aufgerufen, in einem Bürgerrat die Frage zur Diskussion zu stellen, was uns unser Essen wert ist! https://ernaehrungsraete.org/2022/07/07/werden-sie-ernaehrungsdemokratisch-aktiv/   

Wenn nun ein erster Bürgerrat in dieser Legislatur vom Bundestag beauftragt wird, sich mit diesem Thema zu beschäftigen, dann verbinden wir damit die Hoffnung, dies möge nicht nur den dringend nötigen Wandel unseres gesamten Agrar- und Ernährungssystems einen großen Schritt voranbringen, sondern zugleich auch die Ernährungsdemokratie in Deutschland!

Valentin Thurn, ebenfalls im Netzwerkvorstand, formuliert konkrete Erwartungen der Ernährungsräte an das Verfahren: „Wir bauen darauf, dass die Teilnehmenden am Bürgerrat den nötigen Freiraum erhalten und nutzen werden, die Entscheidungen von Verbrauchern zu analysieren, insbesondere im Zusammenhang mit der Marktmacht von Handelsketten und großen Lebensmittelkonzernen, und Wege zu einem am Gemeinwohl orientierten Agrar- und Ernährungssystem zu suchen“.

Aus Sicht der Ernährungsräte kann der (voraussichtlich im September mit der Arbeit beginnende) Bürgerrat vor allem dann zum Erfolg werden, wenn die Teilnehmenden ihn als in ihrem Sinne wirksam erleben, ebenso wie die in der Folge gut informierte Öffentlichkeit. Das jedoch setzt genug Spielraum für eine Arbeitsweise voraus, die gegebenenfalls weit über das bloße Bestätigen im Koalitionsvertrag bereits vorgesehener Politikziele hinaus gehen kann. So könnten neben Handlungsempfehlungen auch konkrete Gesetzesvorschläge zu den Ergebnissen zählen. Differenzierter deutlich gemacht werden sollte zudem, dass die Bundesregierung tatsächlich gewillt ist, sich mit den Beratungsergebnissen nicht nur zu befassen, sondern sie auch so weitgehend wie irgend möglich in Gesetzesinitiativen umzusetzen.

Pressekontakt:

Valentin Thurn 0163 54 89 353  

Gundula Oertel 0177 570 15 25

vorstand@ernaehrungsraete.org

Die Pressemitteilung können sie auch hier herunterladen

Ernaehrungsraete